Meine ersten Momente als Ärztin

Der Moment der Exmatrikulation (Abmeldung von der Universität) 

Ich muss zugeben, dass ich ein paar Tränen vergießen musste, als ich den Antrag ausgefüllt hatte. Ich bin normalerweise ziemlich stark, aber diese sieben Jahre (!!) zogen noch einmal kurz vor meinem inneren Auge vorbei, sodass ich sehr emotional wurde. Sieben Jahre, aber die besten Jahre. Mit Höhen und Tiefen. Ich kann mich noch an das erste Jahr erinnern, in dem meine Freunde und ich uns danach sehnten, fertig zu werden und uns darüber ärgerten, dass das Studium so lange dauert. Nun bin ich am Ende angekommen und denke jetzt: Warum so schnell schon vorbei? Wenn man einmal reingekommen ist, vergeht es wie im Flug. Es macht durchaus Sinn, dass das Studium so lange dauert. Um ehrlich zu sein, ist diese Zeit zu kurz, um wirklich alles zu lernen.

Viele von euch haben mich gefragt, wie das Studium war und vor allem, ob es schwierig ist. Ehrlich gesagt kann ich dieses Studium kaum in Worte fassen. Es ist definitiv schwierig, aber nicht unmöglich! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg… Der Mensch ist lernfähig, man lernt dicke Bücher vor allem in den ersten Jahren reihenweise auswendig. Klar kann man später nicht alles im Hirn behalten, aber das Grundverständnis für die Medizin ist da. Das Einzige, was mich wirklich gestört hat, ist die Tatsache, dass man wie ein Roboter funktionieren muss: Man muss immer belastbar sein, man muss immer gesund sein, man muss immer lernen, man hat wenig Freizeit, man sitzt jedes Wochenende in der Bibliothek … Wer nicht mit Stress umgehen kann, wird selbst oft krank und kann scheitern. Mediziner:innen sind auch nur Menschen! Wir lernen, wie wir anderen Menschen helfen, aber nicht, wie wir uns selbst helfen. Aber in diesen sieben Jahren lernt man wundervolle Freunde kennen, mit denen man durch dick und dünn geht … und wenn man Medizin liebt, opfert man gerne auch die Zeit fürs Lernen. Verrückt, aber wahr. That‘s medicine life 💕



Erster offizieller Moment als Ärztin…. 

Heute im Bürgeramt auf die Frage, was ich beruflich mache, mit „Ich bin Ärztin“ geantwortet. Oh mein Gott, das war das erste Mal, dass ich es offiziell ausgesprochen habe 🙈 . Es war ein schönes Gefühl – dass man es nach so vielen Jahren endlich aussprechen darf, sich überhaupt trauen darf. Ich kann es selbst kaum glauben und denke noch, ich bin im falschen Film 😅 . Außerdem war auch das Gefühl da, dass man als Hijabi (Kopftuchtragende) endlich einmal anders wahrgenommen wird und auch mit Respekt … so wie JEDER Mensch behandelt werden sollte.  



BEWERBUNG zur Weiterbildung als Assistenzärztin für Innere Medizin.

Wir Mediziner:innen sind nach dem Studium erst einmal nur Ärzt:innen. Ein:e Fachärzt:in wird man erst nach mindestens fünf bis sechs Jahren, für einige chirurgische Fächer sogar länger. Danach wird man noch einmal von der Landesärztekammer geprüft. Erst nach der Facharztzeit kann man eine Praxis eröffnen, wenn man möchte; sonst kann man auch weiterhin im Krankenhaus bleiben und seine Karriere weiterführen. Auch kann man für einen Teil der Facharztzeit in einer Praxis angestellt sein. Man kann aber auch komplett in die medizinische Forschung gehen, was auch ein spannendes Feld ist! Obwohl mir die Neurologie auch sehr ans Herz gewachsen ist, habe ich mich entschieden in Richtung Innere Medizin zu gehen. Das Feld der Inneren Medizin ist sehr vielfältig und herausfordernd: die „richtige“ Medizin. Die ersten fünf Bewerbungen sind rausgegangen, und jetzt bin ich schon ein wenig aufgeregt 🙈. Bitte macht für mich Dua, dass mir eine gute Stelle bestimmt wird, bei der ich inschallah eine gute Ausbildung bekomme, ein gutes Team habe und vor allem, dass ich die Möglichkeit habe, auch meine Gebete problemlos zu verrichten. Ich möchte nicht für Weltliches mein Jenseits aufs Spiel setzten 😔 . Ich danke jedem Einzelnen für die Gebete ❤.



Approbation endlich in der Hand 😍❤️  

Endlich kann ich beginnen, offiziell als Ärztin zu arbeiten🙈. Denn ohne Approbation kann man dem ärztlichen Beruf nicht nachkommen. Nach dem Studium muss man diese “Erlaubnis” beantragen. Der Staat prüft, ob du in deiner Vergangenheit “schlechte Dinge” begangen hast, ehe er dir diese Erlaubnis ausstellt. 

Ich muss mein Leben lang auf die Approbation “aufpassen”, d.h. wenn ich gegen Gesetze oder ethische Regeln verstoße, wie z.B. vorsätzliches Töten oder Verletzen, Abrechnungsbetrug usw. kann man mir die Approbation entziehen. Allah bewahre 😞 . Viele von euch haben mich gefragt, ob ich einen Eid ablegen musste. Nein, musste ich nicht. Es gibt tatsächlich den Eid von Hippokrates (siehe Wikipedia), der aber heute in dieser Form nicht mehr abgelegt wird, zumindest nicht in Deutschland. In dem Eid werden unter anderem die sorgfältige Beobachtung, Untersuchung und Behandlung des Arztes/der Ärztin gefordert, außerdem soll über das Gesehene und Gehörte geschwiegen werden. Er wird zwar nicht abgelegt, aber man erwartet, dass der Arzt/die Ärztin mit bestem Wissen und Gewissen nach ethischen und demokratischen Regeln handelt. Und ich werde mein Bestes geben inschAllah ❤️. #doktor #tıp #sağlık #muslima #muslim #medizin #kopftuch #tessetür #medicine #ärztin #islam #hijab #hijabi #hijabiedoctor #Allah #approbation 



April 2018 – Erste Woche als Assistenzärztin ✅ 

Auch wenn es chaotisch war und ich von sieben bis 20 Uhr in der Klinik war, bin ich elhamdulillah zufrieden, endlich mein Kindheitstraum erleben zu dürfen und zudem als muslimische Ärztin im Öffentlichen Dienst zu arbeiten und damit zu zeigen, dass wir Muslim:innen mitten in der Gesellschaft sind und einen wichtigen Beitrag leisten. Elhamdulillah wurde ich sowohl von der Klinik, meinem Team, den Patient:innen und den Angehörigen gut und respektvoll aufgenommen. Die Geduld in all den Jahren hat sich gelohnt. Danke in erster Linie an Allah und dann an alle, die mich mit Worten, Bittgebeten und Nachrichten support(et)en ❤️ #hijab #hijabidoctor #islam #medicine #tıp #sağlık #tessettür #Allah 



Ich bin Ärztin, lasst mich durch 🙃 

Endlich habe ich meinen Arztausweis in der Hand. Diesen muss ich vorlegen, wenn ich mich als Ärztin ausweisen muss, und er ist international anerkannt. Auch kann ich damit einfach in die Apotheke und Medikamente ohne Rezept holen. Auch kann ich auf Kongressen anhand eines Scansystems Fortbildungspunkte sammeln. Man ist als Ärzt:in verpflichtet, sich nach dem Studium jährlich weiterzubilden, damit man immer auf dem neuesten Stand bleibt. Dies wird von der Ärztekammer quasi kontrolliert. Ja, so einfach ist es also nicht. Man muss quasi ein Leben lang weiter studieren 😅. #ärztin #hijab #hijabi #kopftuch #medizin #thisismylife 



Dr. Hatun back in hometown 👩🏻‍⚕️🗻 

Nach drei Jahren komme ich nun in die Heimat (Türkei) als Ärztin zurück – als einzige Ärztin eines großen, hauptsächlich nichtakademischen Stammes und eine der wenigen studierten Frauen. Viele Mädchen und Frauen haben diese Möglichkeit nicht bekommen, obwohl sie großes Potential hatten, sei es, dass es früher hier keine/wenige Schulen geschweige denn eine Universität gab und man dafür in die Großstadt (ziehen) musste, was vielen Eltern ein Grauen bereitete. Lange wurden jungen Frauen mit Kopftuch der Zugang zu Bildung verwehrt. Auch gab es Frauenbilder, die die Frau im Haus und in der Familie sahen und nicht in der Akademie. Zeit, die in Bildung investiert wurde, sah man als Verschwendung an. All dies hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren geändert. Vieles geschah eigentlich durch Unwissenheit. Es studieren mittlerweile immer mehr von meinen Cousinen. Nun sind alle sehr stolz darauf und möchten von mir behandelt werden, stellen mir Fragen. Ärztin sein ist eine Berufung, eine Leidenschaft. Selbst im Urlaub ist man Ärztin. Und hier mache ich es besonders gerne! Es erfüllt mich mit Dankbarkeit an Allah (t), dass Er meinen Eltern den Weg nach Deutschland eröffnete, dass ich Bildung genießen konnte und nun hier stehe auch als Vorbild für die vielen Mädchen hier. Ich bin keinesfalls “besser” und sollte mich keinesfalls überheblich fühlen. Gott hat für jeden Menschen einen Plan und eine Rolle vorgesehen. Meine ist diese 💗 . Elhamdulillah! #Wissen #bildung #doğubayazıt #aşiret 



Die Promotion 

Jetzt ist es offiziell und schriftlich: You can call me *Dr. med. Hatun Karakas*. Alles Lob gebührt in erster Linie Allah, dem Herrn der Welten, und dann meinen Eltern, Familie, Freunden und natürlich allen wundervollen Seelen da draußen, die mich in ihre Gebete eingeschlossen haben. Nach 6,5 Jahren Promotionsodyssee hab ich nun offiziell diesen Titel bekommen. Eigentlich hab ich die Promotion vor drei Jahren mit dem Ende meines Studiums beendet – danach gab es so einige Hürden, die sicherlich Prüfungen von Allah waren. Aber wie Allah (t) im Quran verspricht: “MIT jeder Erschwernis kommt die Erleichterung!” (94:5). Das ist das, woran ich niemals gezweifelt habe. Und letztendlich habe ich die Promotion mit guter Note abgeschlossen. Elhamdulillah! 

Das Thema meiner Promotion war: „Peri- and postoperative management and outcomes of morbidly obese patients (BMI > 40 kg/m 2) with gynaecological disease“. Es gibt immer weniger Mediziner:innen, die eine Promotion annehmen. Auch wenn die Zeit nicht einfach war, war es für mich persönlich ein Segen, sich an der Forschung zu beteiligen. Es hat mich in jeglicher Hinsicht weitergebracht. Deshalb mein Appell an die kommenden Mediziner:innen und vor allem die muslimischen Frauen unter euch: Nehmt die Herausforderung an! 🏻