Beitragsbild Rassismus

Diskriminierung und Rassismus in der Medizin

Medizinische Aufklärung und Engagement gegen Rassismus

Als erkennbar muslimische Ärztin habe ich gemerkt, dass insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund viele medizinische Themen nicht erreichen. Mein Wunsch war es deshalb, auf medizinische Themen aufmerksam zu machen und Menschen über diese aufzuklären, woraufhin ich meinen eigenen Instagram-Account startete. Das Interesse an meinen Beiträgen war groß und es entstand eine Community mit inzwischen 55.5000 Followern (Stand 08/2022) – mit der Zahl der Interessierten stieg gleichzeitig auch die Anzahl der Themen, über die ich berichtete. Der Personenkreis derer, die ich mit meiner Arbeit erreiche, ist dabei bunt gemischt: Jung, alt, muslimisch, nicht-muslimisch, medizinisches Fachpersonal aber auch vor allem Fachfremde.

Dass es notwendig ist, sich auch für das Thema Rassismus in der Medizin zu positionieren und zu engagieren, zeigten und zeigen mir immer wieder zahlreiche Erfahrungsberichte aus meiner Instagram-Community: In den Stories Rassismus, Diskriminierung I und Diskriminierung II finden sich  viel zu viele Beispiele dafür, wie Menschen missachtet, nicht ernstgenommen und erniedrigt werden. Und das alles nur, weil sie “anders” aussehen oder Hijab tragen. Betroffen sind dabei sowohl Ärzt:innen, Pflegepersonal, Reinigungspersonal und Besucher:innen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, als auch vor allem die Schwächsten unter uns: Die Kranken. Menschen, die Schmerzen haben und Hilfe suchen. Menschen, die oft ihr tiefstes Inneres öffnen müssen, damit ihnen geholfen werden kann.

Leider kann auch ich als Ärztin und Privatperson aus leidvoller Erfahrung über die Jahre hinweg berichten: Ich war selbst persönlich betroffen oder habe mitbekommen, wie es Freund:innen und Bekannten ergangen ist. Ausschlaggebend dafür, mich für vom Rassismus Betroffene zu engagieren, waren letztendlich die Menschen, die ihre Probleme an mich herangetragen haben sowie die Erkenntnis daraus, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handeln kann. Deshalb war es für mich eine logische Konsquenz, meine Reichweite zu nutzen und mich persönlich für Betroffene von Rassismus stark zu machen.

Es gibt noch sehr viel zu tun um Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Sprache oder ihres Aussehens, zu mehr Sichtbarkeit, Akzeptanz und menschenwürdiger Behandlung zu verhelfen. Mit Marc Raschke, einem Journalisten und Kommunikationsexperten, führte ich im 02/2012 ein Interview zum Thema “Diskriminierung im Gesundheitswesen”:

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Hier berichtete ich unter anderem von meiner Mutter, die aufgrund einer Sprachbarriere bei einer Zahnärztin eine Behandlung ohne Betäubung erfuhr. Menschen, die so behandelt werden, erfahren hier ein Trauma, welches sie oft ein Leben lang begleitet – meine Mutter geht auch deshalb nicht so gern zu Ärzten. Das solche und viele andere Beispiele keine Einzelfälle sind, zeigt ein Artikel im Ärzteblatt.

Der Artikel macht unter anderem deutlich, dass gerade in Deutschland Daten zu Rassismus im Gesundheitswesen fehlen. Erhobene Daten aus den USA zeigen, dass schwarze Menschen aufgrund rassistischer Verhaltensweisen und Strukturen benachteiligt und gefährdet werden. Um die bestehende Datenlücke in Deutschland aufzufüllen, adressierte ich Ende 2021 ein Schreiben an Bundes- und Landesärztekammer. Ich bat darum, im Medizinstudium für die Problematik zu sensibilisieren und der Ärzteschaft Schulungen und Fortbildungen anzubieten. Einige Ärztekammern wie die Ärztekammer des Saarlandes haben sich dieser Thematik ernst angenommen. Auch sehr vorbildlich: seit 2020 hatte die Landesärztekammer Hessen bereits die Zuständigkeit des Menschenrechtsbeauftragten um Rassismus und Diskriminierung erweitert: Dr. Ernst Girth. Mit ihm konnten wir dann hierdurch in Austausch treten. Viele waren jedoch sehr zurückhaltend, einige haben nicht mal sich die Mühe gemacht auf das Schreiben zu antworten. Selbst die Bundesärztekammer wies eher auf das ärztliche Gelöbnis von Genf hin, dass es selbstverständlich für Ärzt:innen  sein sollte, hiernach zu handeln.

“Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.”

Das ärztliche Gelöbnis, Deklaration von Genf (Weltärztebund)

Leider sieht es in der Praxis oft anders aus und daher ernst genommen werden. Dr. Ernst Girth berichtete, dass er mit einer handvoll Beschwerden über Rassismus in den 25 Jahren als Menschenrechtsbeauftragter sind es nach der Namenserweiterung in nur zwei Jahren etwa 40 Fälle an ihn herangetragen worden ist. Ein ausführlichen Bericht seiner Tätigkeit, kann man in diesem Artikel nachlesen. Schön wäre, dass weitere Ärztekammern Zeichen setzen.

Auch wenn die meisten Ärztekammern nicht dem Thema ernsthaft gewidmet haben, hat die Aktion dennoch ein paar kleine Tropfen auf dem heißen Stein erreicht. So konnte ich bis heute das Thema mit verschiedenen Institutionen, Vereinen aber auch Medien behandeln. Wichtig ist und war, dass ein Stein ins Rollen gekommen ist.

Morbus Mediterraneus

Ende 2021 war ich als Referentin bei “Gewalt im Alltag” der Karin und Walter Blüchert Gedächtnisstiftung eingeladen. Die Karin und Walter Blüchert Gedächtnisstiftung entstand aus dem Wunsch Walter Blücherts heraus, der bereits zu Lebzeiten verfügte, dass sein Vermächtnis Menschen zugute kommt, die Unterstützung und Hilfeleistung benötigen. Mit dem Forum “Gewalt im Alltag” widmet sich die Stiftung vielfältigen Themen, z.B. Religiöse und Institutionelle Diskriminierung, Armut oder Rassismus.

In meinem Vortrag spreche ich unter anderem über Erfahrungsberichte von Menschen, die Rassismus im Gesundheitswesen erfahren haben, welche Folgen die Erlebnisse für die Menschen haben und wie man sich als betroffene Person verhalten kann, wenn man Rassismus und Diskriminierung erfährt.

Im Vortrag bei Gewalt im Alltag und auch als Referentin beim Female Future Force Day 2021 von Edition F, sprach ich auch über den Begriff “Morbus Mediterraneus”. Dieses ausgedachte Krankheitsbild entspringt  – Zitat – “… einem rassisstischen Vorurteil, wonach BIPoC ihre Schmerzsymptome und Leiden übertreiben und ihnen somit abgesprochen wird, wirklich krank zu sein. Dadurch passiert es auch in 2021 noch, dass BIPoC vom medizinischen Personal nicht ernstgenommen werden und nicht die notwendige Gesundheitsversorgung bekommen, die sie benötigen.” Morbus Mediterraneus wird zwar nicht in der Ausbildung oder Medizinstudium gelehrt, dennoch wird es in der Praxis auslebt und nach dem Copy and Paste Mechanismus weiter fortgeführt – und sogar fälschlicherweise weiter gelehrt, so dass insbesondere in der Ausbildung befindende Personen, von erfahrenen Mediziner:innen dieses Vorteil praktizieren. Dies können die meisten Mediziner:innen bestätigen-

Dr. Hatun als Referentin beim Female Future Force Day 2021 von Edition F
Dr. Hatun Karakas als Referentin beim Female Future Force Day 2021 von Edition F

Welche Ausmaße es annehmen kann, wenn BIPoC diskiminiert und rassischtisch behandelt werden, kann man sehr gut in einem Beitrag im Format “Volle Kanne” des ZDF vom 22. März 2022 (ab Minute 51:52) sehen: Hier spricht Mirianne Mahn, die sich in der Kommunalpolitik gegen Rassismus engagiert, wie sie selbst Opfer von Diskriminerung im Krankenhaus wurde. Im Beitrag spreche ich auch über den Begriff “Morbus Mediterraneus” und darüber, wie Menschen durch bestehende Vorurteile körperlich zu Schaden kommen. Im Beitrag spricht auch Dr. Ernst Girth, der Menschenrechts- und Rassismusbeauftragte der Landesärztekammer Hessen.


Dr. Hatun bei ZDF Volle Kanne am 22.03.2022

Werkstatt Zukunft – Rassismus und Diskriminierung im klinischen Alltag

Am 26.03.2022 hatte ich gemeinsam mit Dr. Ernst Girth die Gelegenheit, zum Thema „Rassismus im Gesundheitswesen“ mit Medizinstudent:innen der kritischen Mediziner:innen Oldenburg @kritmeds.ol und @werkstattzukunft in einem Vortrag und Workshop zu sprechen.

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In diesem Beitrag auf Instagram schreibe ich auch über die Erfolge, die wir bisher erzielt haben – schaut gern mal rein! Meinen eigenen Beitrag sowie den kompletten Vortrag in der Werkstatt Zunkunft findet ihr im Folgenden:

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Podcast beim Thieme-Verlag mit Beispiele von Rassismus in der Medizin

Beim Thieme-Verlag wurde am 13.06.2022 in der Podcast-Reihe “Ruhepuls – alles für ein entspannteres Medizinstudium” ein Beitrag mit mir veröffentlicht, die Beiträge sind hier abrufbar:

Apple Podcasts

Spotify

Im Podcast spreche ich über ein paar Beispiele von Rassismus in der Medizin. Dabei gehe ich nicht nur darauf ein, welche Schwierigkeiten Patienten haben, wenn sie mit Rassismus konfrontiert sind, sondern auch darauf, was es für Fachpersonal bedeutet, wenn es sowohl von Patienten als auch von Kollegen und Vorgesetzten anders behandelt wird.

Mit Recht gegen Rassismus

Mit Malika Mansouri, einer Volljuristin, die an der Universität Bielefeld und der Antidiskrimierungsstelle der Stadt Herford tätig ist, sprach ich Anfang 2021 zum Thema “Mit Recht gegen Rassismus”:

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Was kann man tun, wenn man selbst Opfer von Rassismus und Diskriminierung wird? Welche Möglichkeiten stehen einem zur Verfügung?

  • Erfahrungen dokumentieren, Namen merken.
  • mit Freunden und Familie sprechen, sich organisieren und vernetzen
  • Gespräch suchen mit der Person, die Rassismus ausübt. Hierbei möglichst sachlich bleiben und sich dabei auch selbst schützen. Wenn dies nicht möglich ist gegebenenfalls Vorgesetzten kontaktieren. Im Krankenhaus z.B. Chefarzt, Stations- oder Bereichsleitung. Wenn dies auch nicht erfolgreich ist, dann Beschwerdemanagement des Krankenhauses kontaktieren und Stellungnahme fordern. Hier können auch gemeinsame Gespräche organisiert werden.
  • bei ambulanten Ärzten: Ärztekammer und/oder Kassenärztliche Vereinigung einschalten
  • Antidiskriminierungsstelle kontaktieren (kostenfrei, unabhängig, unverbindlich), diese sammeln nicht nur die Fälle, sondern beraten euch gezielt, was eure Möglichkeiten sind.
  • oder selbst anwaltliche Beratung/Gespräche organisieren

Wichtig ist, dass ihr

  • das nicht hinnehmen solltet, dass es “dazugehört” – wenn ihr nicht reagiert, wird die Problematik immer weitere Betroffene erreichen. So kann man vielleicht Diskriminierung und Rassismus brechen. Aus dem Alltag weiß ich, dass oft kritische Gespräche mit Mitarbeitern geführt werden, die sich danach oft im Verhalten ändern, wenn auch nicht immer freiwillig. 
  • möglichst dies alles schriftlich dokumentiert und auch generell den schriftlichen Weg sucht anstatt per Telefon. 
  • mit eurem Erlebnis all zu lange wartet. Insbesondere wenn man sogar Schadensersatz fordern möchte, dann sollte eine schriftliche Beschwerde innerhalb 2 Monaten erfolgen. Dies ist gesetzlich aktuell so festgelegt. 

Entscheidend bei dieser Auflistung ist nicht die Reihenfolge der Möglichkeiten, sondern das Vorgehen so zu wählen, dass es einem als betroffene Person gut damit geht. Je nach Situation und Tragweite muss etwa aus einem Kontakt zur Antidsikriminierungsstelle nicht zwangsläufig eine anwaltliche Beratung erfolgen, ebensowenig muss aus einer anwaltlichen Beratung eine Klage folgen. Hat man einmal einen Weg eingeschlagen (z.B. eine Antidiskriminierungsstelle kontaktiert), so ist es wichtig zu wissen, dass man jederzeit einen Weg auch beenden kann. Das kann sich etwa aus einem klärenden Gespräch mit dem Rassismus Ausübenden ergeben oder sonstige persönliche Gründe haben.

Ihr habt selbst schon einmal Diskriminierung und Rassismus im Gesundheitswesen erfahren oder mitbekommen? Schildert mir gern eure Erlebnisse und Erfahrungen in einer E-Mail an diskriminierung@drhatun.de. Ich sammele Fälle, damit ich insbesondere an medizinisches Personal und Medien herantragen kann.