#coronadiaries – Meine Pandemie-Erlebnisse im Krankenhaus

1) #coronadiaries – Nov 2020

Für einige sind es Zahlen, für uns sind es Menschen!

Immer noch bekomme ich von diversen Personen oder Kanälen Nachrichten, ob denn COVID-19 wirklich so dramatisch sei, denn die Todeszahlen seien ja X und die Intensivzahlen seien ja Y. Ich kann es wirklich nicht mehr lesen und hören und möchte auch bitte nicht mehr solche Nachrichten erhalten. Mancher mag nur Zahlen sehen, wir aber sehen Menschen dahinter mit zum Teil dramatischen Verläufen. Es ist einfach mit keiner bisherigen Erkrankung vergleichbar. Das können vor allem die Mediziner an der Front besser beurteilen. Entweder schenkt man uns Glauben oder nicht. Noch nie hat sich jemand so dermaßen interessiert, was in den Krankenhäusern abgeht – die Krankenhäuser werden von Privatpersonen zu den Zahlen um Stellungnahme gebeten. Ich habe auch einige Patient:innen behandelt, die eine Krankheit vorgetäuscht haben, um mehr Informationen von mir zu erfahren. Was soll das bitte? Warum hat man sich vor Corona nie dafür interessiert, was in den Krankenhäusern abläuft? Das Gesundheitssystem in Deutschland ist zwar besser als in einigen Ländern, aber immer noch am Limit: Ärztemangel, Pflegemangel, zu viele erkrankte Patient:innen aller Art, geschlossene Stationen, und jetzt kommt noch die COVID-19-Situation dazu. Es ist wirklich nicht einfach für uns.

Auch ärgere ich mich im Namen aller Patient:innen, die aktuell behandelt werden und hoffen, dass sie Genesung erfahren. Ich erfahre nicht nur im Krankenhaus, sondern auch im privaten Umfeld und auf Instagram die Sorge von Betroffenen und ihren Angehörigen.

Eine Aussprache des Propheten Mohammed besagt: „Wenn du eine kranke Person besuchst, sollst du ihr gute Worte um Allahs Willen sagen. Auch wenn das keinen Schaden verhindert, so bringt es Linderung für das Herz des Patienten“ (Tirmidhi). Auch wenn wir unsere erkrankten Mitmenschen nicht besuchen können, so lasst uns diesen Menschen telefonisch oder mit unseren Bittgebeten beistehen – egal ob den Patient:innen selbst oder den Angehörigen. Die Nächstenliebe wird den Betroffenen Kraft geben und nicht die ganzen Diskussionen drumherum. Bleibt bitte gesund und achtet auch auf eure Mitmenschen!

Bildquelle: shutterstock.com

2) #coronadiaries – Juni 2020

Die stille Hypoxie

An meinen ersten Coronapatienten, den ich auf Intensivstation brachte, kann ich mich wirklich gut erinnern. Komplett vermummt habe ich ihn erst einmal im Rettungswagen angeschaut und geprüft, ob er wirklich so krank ist, dass ich ihn stationär aufnehmen kann, denn wir hatten von Beginn an den Auftrag: Soweit der Zustand vertretbar ist – nach Hause schicken. Beschwerden hatte er keine, außer, dass er sich sehr schlapp fühlte. Er sah bei Fieber von 39,6° schon mitgenommen aus, aber mehr nicht. “Hmm, dachte ich, was jetzt?” Aufgrund seines Alters (70 Jahre) entschied ich mich dafür, ihn wenigstens ein bis zwei Tage auf Station zu behalten. Angekommen auf der COVID-Station schloss ich ihn an die Gerätschaften an, da zeigte mir der Pulsoxymeter eine Sauerstoffsättigung von 82% an (Sauerstoffversorgung im Blut beim gesunden Menschen 96-99%). Ich schaute den Patienten an. Keine Zeichen von Luftnot. Null. Ich dachte, es sei bestimmt ein Gerätefehler. Also entschied ich mich, eine arterielle Blutentnahme zu machen, womit man den genauen Gasaustausch im Blut ansehen kann, und siehe da, es stimmte! Ich war mehr als erschrocken, begriff nun das Tückische an diesem Virus und warum einige Menschen, über die man in den Nachrichten las, einfach tot umfielen. Sie merkten nicht, dass ihr Körper mit Sauerstoff unterversorgt war. In der Regel hat man bereits Luftnot bei 92-93%. Bei unter 85% sind viele schon nicht mehr richtig ansprechbar. Nun versucht jemandem, der bei vollem Bewusstsein ist, die Dramatik zu erklären, dass er vielleicht beatmet werden müsse, damit es nicht noch schlimmer wird.

Bei einem 80-jährigen türkischen Patienten hatte ich einen ähnlichen Fall.  Er sagte mir noch auf dem Weg zur Intensivstation: “Meine Tochter, bitte hilf mir, rette mich!” Der Onkel wurde sechs Wochen beatmet. Ich war sehr glücklich, als ich hörte, dass er wieder von den Maschinen entkoppelt worden war. Als ich ihn besuchte, konnte er sich nicht mehr genau an mich erinnern; er hatte so abgebaut, dass er kaum Sätze bilden konnte. Es gab sprachliche Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Pflegepersonal und wir konnten ein Problem klären. Er hat sich so gefreut und sagte nur “Allah razı olsun, Dich hat Gott geschickt, mein Kind”.

Ein Gänsehautmoment.

3) #coronadiaries – April 2020

Während die Leute sich da draußen den Kopf zerbrechen und sich beklagen, dass endlich die Beschränkungen der Coronamaßnahmen aufgehoben werden sollen, sind wir Mediziner:innen doch ein wenig besorgt darüber, wie die Entwicklungen sein werden. Wenn es so bleiben sollte, können alle Patient:innen, ob mit oder ohne Coronavirus-Erkrankung, (COVID) adäquat behandelt werden. Die Infektionsstationen und auch COVID-Intensivstationen füllen sich aber von Tag zu Tag. Wir möchten aber keine Verhältnisse wie in Italien und Spanien!

Das Krankenhaus ist ein Reservoir für Coronaviren und auch andere hochinfektiöse Erreger. Selbst wenn wir akribisch darauf achten, uns an die Hygienerichtlinien zu halten, kann dennoch ein:e Mitarbeiter:in oder ein:e andere:r Patient:in, der/die kein Corona hatte, jetzt plötzlich daran erkranken, und dann gehen die Probleme erst richtig los. Heute wurde allein in unserer Klinik eine Abteilung komplett in Quarantäne geschickt, weil ein Mitarbeiter COVID-positiv war und nun auch andere Mitarbeiter:innen krank wurden. Wir können hoffen, dass die Patient:innen nicht auch noch krank werden! Sie haben alle Abstriche bekommen und befinden sich auf unserer COVID-Infektionsstation 😔🤲🏻.

Eine schwere Zeit nicht nur für unsere Klinik, sondern alle Kliniken auf der ganzen Welt. Indem ihr euch alle an die Regeln haltet, werden weniger Menschen krank und kommen ins Krankenhaus. Denn je mehr Patient:innen ins Krankenhaus kommen, ob mit oder ohne COVID-Infektion, desto höher die Gefahr der Weiterverbreitung. Also bitte nicht auf hohem Niveau jammern, denn alles hat einen Grund. Ich hoffe und bete auch sehr, dass diese Phase für uns alle bald vorbei ist und wir auch im Krankenhaus aufatmen können! Bitte bleibt gesund 💗.

Photo by Sara Paglia

4) #frontline – April 2020

Es ist nicht einfach, sich jeden Tag aufs Neue in eine Gefahrenzone zu begeben. Das Medizinpersonal – insbesondere diejenigen, die mit COVID-Patient:innen tagtäglich zu tun haben, diese behandeln, pflegen und versorgen – sind hohen Konzentrationen von Viruspartikeln ausgesetzt. Das ist auch ein möglicher Grund, warum in letzter Zeit Ärzt:innen, die noch jung sind, versterben. Es ist wie im Krieg: Man ist vorne dabei und weiß auch, dass es einen vielleicht selbst treffen kann, auch wenn man innerlich sehr hofft, dass es nicht dazu kommt. In einem Krieg gibt es immer Opfer. Leider. Auch hier. Dazu gehört in meinen Kreisen mein Professor aus der Türkei und eine sehr gute Freundin meiner Kollegin, die auch junge Ärztin war. Ich konnte sie zur Beileidsbekundung nicht einmal umarmen 😔 . Jeder Griff, jede Handlung bedarf einer guten Überlegung, um sich selbst, aber auch andere nicht anzustecken. Wir sind uns der Gefahrenzone absolut bewusst.

Aber genau in dieser Zeit brauchen wir Stärke und Unterstützung auf allen Ebenen. Gesellschaft, Politik aber auch unter den Kolleg:innen selbst. Mich und auch andere Kolleg:innen ziehen Verschwörungsmythen, die leichtsinnige Art einiger Menschen da draußen und Nachrichten wie “So schlimm ist es doch nicht bei euch” runter. Gleichzeitig aber stärken uns Gebete und positive Nachrichten enorm. Mich hat besonders die unermüdliche Arbeit meiner Kolleg:innen im Ausland gestärkt, die tagelang nicht nach Hause gehen konnten und teilweise auch immer noch nicht können, um ihre Mitmenschen zu schonen und gleichzeitig bei ihren Patient:innen zu sein. Ich habe in meinem Team von kinderlosen Kolleg:innen gehört, die sich freiwillig bereit erklärten, COVID-Patient:innen zu behandeln, damit Ärzt:innen mit Kindern nicht an die Front müssen.

Ich schätze das Applaudieren der Menschen für die Mediziner:innen sehr, aber dennoch wünsche ich mir diesen Beistand auch nach der Coronakrise und dass dieser Respekt und die Würde gegenüber uns fortbesteht. Wir setzen uns nicht nur jetzt, sondern tagtäglich für die Gesundheit der Menschen ein und tragen hohe Verantwortung. Es ist manchmal für beide Seiten nicht leicht, aber dennoch wünsche ich mir mehr Sensibilität – auch nach dieser Phase. #covid19 #corona

Ein wichtiger Apell, um alle Kranken ausreichend zu versorgen

5) #frontline👩🏻‍⚕‍ #coronadiaries März 2020

Ich weiß, es fällt allen schwer einfach nur zu Hause zu bleiben, aber zum Schutz von euch selbst und eurer Mitmenschen solltet ihr möglichst zu Hause bleiben und nur im äußersten Notfall vor die Tür gehen. Mittlerweile ist von einer weltweiten Pandemie auszugehen, sodass man im Falle einer Erkrankung nicht mehr nachvollziehen kann, wie die Infektionskette zustande gekommen ist. Vor drei bis vier Wochen war die Risikolage für Deutschland durch das Robert-Koch-Institut leicht-mild eingestuft worden und die Fallzahl betrug damals elf Personen. In dieser Woche wurde das Risiko nun auf “hoch” eingestuft. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung sehr hoch ist. Die Zahl der Infizierten in Deutschland beträgt aktuell über 13.000 und steigt jeden Tag um etwa 2.000-3.000 – die Dunkelziffer ist hoch. Junge Menschen stecken das Virus in der Regel wie bei einer Erkältung gut weg. Risikopatient:innen sind vor allem Senior:innen und immungeschwächte Mitmenschen. Bei Babys und Kindern hat man bisher kaum oder gar keine Symptome beobachtet. Dennoch können genau diese als Träger:innen des Virus für Ältere eine Gefahr darstellen, sodass der Kontakt möglichst vermieden werden sollte. Deshalb ist es auch wichtig, dass Kinder sich nicht draußen aufhalten, da man nie wissen kann, wohin sie greifen, was sie anfassen etc.

Mittlerweile haben wir Corona-Fälle in den Krankenhäusern – ab nächster Woche erwarten wir einen deutlichen Anstieg. Wir Internist:innen sind an der Front und Kolleg:innen aus anderen Abteilungen sollen uns unter die Arme greifen.

Umso wichtiger ist, dass wir zusammenarbeiten und gemeinsam vernünftig an die Sache herangehen, um die Infektion einzudämmen. Hierfür bleibt ihr zu Hause und folgt bestenfalls den Empfehlungen, die ich euch im letzten Video mitgeteilt habe. Ihr habt zu Hause die Kontrolle, und wir als Mediziner:innen, das Pflegepersonal im Krankenhaus und andere medizinische Einrichtungen sind in unseren Einsatzbereichen aktiv. Nur so schaffen wir es, die schwierigen Zeiten gemeinsam gut zu meistern. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Zeit überstehen werden, denn wie es so schön in einem Quranvers steht: “Wahrlich, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung, mit der Erschwernis kommt die Erleichterung!” (94:5-6)