Der Tee mit der Geschichte

Story by Pelin Elmas Sahinbas (Instagram @elmaswhispers) – Medizinstudentin & Schreiberin.

Ich war damals auf der Leukämie-Station. Das war der Ort, wo Patienten mit Blutkrebs stationiert waren. Aber es war auch die Station für Kinder und Jugendliche, und für Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf. Ich habe einiges auf der Station sehen dürfen. Es war mein erstes Praktikum in einem Krankenhaus und eines, welches ich nie vergessen werde. Aber statt vom Tod zu erzählen, erzähle ich lieber über eine Patientin , die mir jeden Tag noch begegnet. Die Geschichte heißt „Der Tee mit der Geschichte“.

Ich war schon seit einigen Tagen auf dieser Station. Die meisten Schwestern waren unfreundlich zu mir, nannten mich „die da“, „die Studentin“, „die Türkin“. Meinen Namen kannte keiner, oder wollte sich zumindest keiner merken. Das einzige, was mich jeden Morgen um pünktlich viertel vor sechs da sein lies, waren die Patienten. Ich wollte einfach als Praktikantin mir die Zeit nehmen, mit ihnen zu reden, mit den Jugendlichen die Zeit während ihrer Chemotherapie zu vertreiben und die Kinder im Uno gegen mich gewinnen zu lassen. Die meisten Patienten haben einen Aufenthalt von mehr als zwei Wochen und meistens habe ich nach einigen Tagen einen guten Draht zu ihnen und eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut.

So aber nicht mit dieser einen Patientin. Ich nenne sie Frau Brandt. Frau Brandt lag in einem Zimmer gemeinsam mit einer weiteren älteren Dame. Mit der Bettnachbarin konnte ich mich super verständigen, riss ab und zu meine Späße, bestehend aus schlechten Flachwitzen, während ich die Routineuntersuchungen durchführte. Sobald ich aber an das Bett von Frau Brandt ging, wurde es still im Zimmer. Sie antwortete meist nur in kurzen Sätzen auf meine Fragen. Den ersten Tag dachte ich, sie musste warm werden. Am zweiten Tag dachte ich, sie ist bedrückt wegen der Chemotherapie, die in hohen Dosen verabreicht wird. Am dritten Tag hörte ich sie lachen, aber sobald ich versuchen wollte ins Gespräch zu kommen, blockte sie ab. Meist versuchte ich über die Gegenstände auf dem Nachttisch eine Beziehung zu den Patienten aufzubauen. Ein Foto von der Familie, vom geliebten Haustier, ein Buch oder das Tablet mit einem geöffneten Film, letzteres eher zutreffend bei den Jugendlichen. Ich glaube es gibt nichts Unangenehmeres als einer fremden Person jeden Tag erzählen zu müssen, haargenau und detailgetreu, wie es einem geht, wenn man vom Gegenüber nichts weiß. Aber bei Frau Brandt stand kein Foto und auch kein Buch. So fragte ich sie eines Tages , ob ich ihr einen Tee bringen könnte. Aufgrund dieser bestimmten Chemotherapie, durfte die Patientin das Zimmer nicht verlassen, um ihr Immunsystem zu schonen. Sie sah mich skeptisch an und bat mich, nur heißes Wasser zu bringen. Am vierten Tag also, sah ich einen kleinen Hoffnungsschimmer. Ich brachte ihr die sauberste Tasse mit dem besten, heißesten Wasser, welches ich finden konnte und sah , wie sie aus ihrer Nachttischschublade einen Teebeutel raus kramte. „Mediterraner Pirsich, schmeckt das denn, Frau Brandt?“ „Aber wie! Meine Tochter muss mir den immer jede Woche vorbei bringen, weil ich den so mag! Und im Sommer lasse ich eine ganze Kanne abkühlen und stelle sie in den Kühlschrank. Das schmeckt so viel leckerer als die ganzen abgepackten Eistees! Den müssen Sie mal probieren.“ Ich war wirklich überrascht, wie lebensfroh Frau Brandt wirken konnte. An dem Tag ging ich gleich in den Supermarkt und kaufte mir diesen Tee. Zuhause angekommen, und es war tiefster Winter, war der Tee mein Abendessen an diesem Abend.

Am nächsten Tag, den fünften, ging ich wieder morgens um Punkt 7 Uhr in das Zimmer von Frau Brandt. Nach einem herzlichen ,Guten Morgen‘, erzählte ich ihr, dass ich ihren Rat befolgt habe, und dass der Tee ab sofort in mein Teeregal gehört. Sie lachte herzhaft und nach diesem Tag konnte ich ihr jeden Tag ein Lachen entlocken. Am Ende meines Praktikums bekam sie neue Stammzellen, bei der Gabe durfte ich ebenfalls dabei sein und mithelfen. Aber, das Wichtigste war für mich, ich habe auch die Hand von Frau Brandt gehalten und ihr Mut zugesprochen. Man findet immer eine Gemeinsamkeit, um darauf eine Beziehung aufzubauen, damit der Patient sich beim​ behandelnden Arzt/ Ärztin aufgehoben fühlt. Während vor mir meine Lehrbücher und Vorlesungsfolien ausgebreitet liegen, trinke ich wie so oft diesen Tee. Meine Mutter nannte den Tee „hikaye çayı“, der Tee mit der Geschichte. Und so süß dieser Tee auch schmeckt, so denke ich jedes Mal an diese Patientin zurück. Ob sie noch lebt, weiß ich gar nicht. Aber immer, wenn ich den Tee jemandem anbiete, erzähle ich diese Geschichte. Und darin lebt sie doch auch weiter.behandelnden Arzt/ Ärztin aufgehoben fuhlt. Während vor mir meine Lehrbucher und Vorlesungsfolien ausgebreitet liegen, trinke ich wie so oft diesen Tee. Meine Mutter nannte den Tee „hikaye çay“, der Tee mit der Geschichte. Und so su ß. d ieser Tee auch schmeckt, so denke ich jedes Mal an diese Patientin zuruck. Ob sie noch lebt, weiß ich gar nicht. Aber immer , wenn ich den Tee jemandem anbiete, erzähle ich diese Geschichte. Und darin lebt sie doch auch weiter.