Rassismus im Gesundheitswesen – Von Social Media ins Bundeskanzleramt

Seit 4 Jahren mache ich mich für die Thematik „Diskriminierung und Rassismus im Gesundheitswesen“ stark. Seit Jahren bereits beobachte ich eine gefährliche zunehmende Entwicklung innerhalb des Gesundheitswesen seit der Flüchtlingswelle 2015. Hier ein paar Beobachtungen aus meiner Praxiserfahrung, welche als

„Morbus mediterraneus“

abgestempelt wurden:

  • eine Frau afrikanischer Herkunft bricht nach meiner Diagnoseübermittlung „Sie haben eine chronische Herzbeutelentzündung“ in Tränen aus – nicht aus Trauer, sondern Freude, weil sie nach 2 Jahren Arzt-Odyssee mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen und mit der Diagnose „chronischen Schmerzen“ abgestempelt wurde.
  • Migrantische Person mit unzureichenden Deutschkenntnissen kam nachts um 1 Uhr in die Notaufnahme mit Kopfschmerzen. Zunächst abgewiesen mit: ‚Schick ihn nach Hause, der hat doch eh nichts.‘ Spätere Diagnose: Kohlenmonoxidvergiftung.
  • Eine Patientin türkischer Herkunft litt unter starken, immobilisierenden Rückenschmerzen und Schweißausbrüchen. Nach einer langen Ärzte-Odyssee wurden ihre Beschwerden zunächst als ‚Wechseljahre, Depression, arbeitsunwillig‘ oder ‚chronische Schmerzen‘ abgetan. Erst nach Monaten erhielt sie die richtige Diagnose: Endokarditis (Herzinnenhautentzündung), die eine große Herzoperation erforderlich machte. Aufgrund von Komplikationen bei der OP leidet sie bis heute an den Folgen.
  • Der akute Schwindel einer Seniorin türkischer Herkunft wurde missachtet und als ‚gestresst, depressiv‘ abgetan, und sie wäre beinahe aus dem Krankenhaus entlassen worden. Einen Tag später erhielt sie die Diagnose: Schlaganfall.

Ich kann aus ärztlicher Perspektive sagen, dass Menschen zu gesundheitlichen Schaden kommen können, wenn man sie nicht ernst nimmt. Das Erschreckende ist, dass es noch viel mehr solcher Fälle gibt. Auch viele andere Kolleg:innen berichten Ähnliches. Die Erfahrungen dieser Menschen sind so erschreckend, dass viele bis heute davon ein psychisches Trauma oder einen körperlichen Schaden erlitten haben, deshalb kein Vertrauen gegenüber dem Gesundheitswesen zum Teil bringen oder sogar komplett vermeiden. Im Februar 2021 entschloss ich mich meine Community zu fragen, was sie alles so erlebt haben. Die erschreckenden Berichte, die mir zugetragen wurden habe ich gesammelt und die Initiative ergriffen, dass nicht so stehen zu lassen und setzte ein Schreiben an alle Ärztekammern Deutschlands und ärztlichen Vereinigungen auf, dass diesbezüglich unbedingt etwas geschehen muss. Die Rückmeldungen waren eher ernüchternd. Aber dennoch ließ ich mich nicht davon abhalten und engagierte mich weiter für diese Thematik, wie ihr hier nachlesen könnt: Diskriminierung und Rassismus im Gesundheitswesen.

Die Standhaftigkeit hat sich dann ausgezahlt: Im November 2023 hatte ich die Gelegenheit, als Rednerin am Forum gegen Rassismus in Berlin teilzunehmen. Diese Veranstaltung, organisiert von Reem Alabali-Radovan, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, bot eine wichtige Plattform, um über das Thema „Rassismus und Gesundheit“ zu sprechen. Ziel war es, auf politischer Ebene konkrete Lösungen zu finden und verschiedene Beteiligte zusammenzubringen.

Es waren zahlreiche Fachleute aus dem Gesundheitswesen, Pflegekräfte, Mitarbeitende aus unterschiedlichen Institutionen sowie Vertreterinnen der Ärztekammern und Politikerinnen versammelt. Diese Vielfalt ermöglichte es, viele verschiedene Ansichten zu berücksichtigen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir Rassismus im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen können.

In meinem Vortrag teilte ich persönliche Erfahrungen aus meinem Berufsalltag und meiner Arbeit auf den Sozialen Medien über diese Thematik. Besonders hob ich die Geschichten meiner Follower*innen hervor, die über Jahre hinweg ihre Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitswesen mit mir geteilt hatten. Diese Erlebnisse machten deutlich, wie wichtig es ist, dieses Thema in den Fokus der Verantwortlichen zu rücken.

Ein zentrales Highlight der Veranstaltung war die Präsentation des Berichts „Rassismus und seine Symptome” vom Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa). Der Bericht zeigt, dass rassistisch markierte Personen, vor allem Frauen, oft später oder gar nicht die medizinische Hilfe bekommen, die sie brauchen. Der Bericht beleuchtet, wie Mechanismen wie „Othering“ und „Silencing“ dazu führen, dass Betroffene schlechter behandelt werden und ihre Beschwerden oft nicht ernst genommen werden. Besonders im psychotherapeutischen Bereich erschwert namensbasierte Diskriminierung den Zugang zu wichtigen Terminen. Diese Barrieren schwächen das Vertrauen ins Gesundheitssystem erheblich. Der Bericht macht deutlich, dass Rassismus im Gesundheitswesen ernste, sogar lebensbedrohliche Folgen haben kann, was dringendes Handeln erfordert.

Während der zweitägigen Veranstaltung wurde das starke Interesse vieler Fachleute deutlich, sich tiefer mit diesen Themen zu befassen. Die NaDiRa-Studie zog viel Aufmerksamkeit auf sich, und ich werde einen Link zur Studie bereitstellen, damit Interessierte mehr darüber erfahren können: Rassismus und seine Symptome

Nach dem Forum verstärkte ich den Austausch mit dem DEZIM-Institut, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erkunden. Kurz darauf nahm ich an der Tagung „Rassismus macht krank“ in Frankfurt teil. Zusammen mit einer Kollegin beleuchteten wir dort die tägliche Realität von Diskriminierung in Krankenhäusern. Der Workshop bot die Gelegenheit, Erlebnisse auszutauschen und gemeinsam Strategien gegen Benachteiligungen im Gesundheitswesen zu entwickeln.

Nach der Veranstaltung in Frankfurt engagierte ich mich für die Entwicklung von Informationsmaterialien, um das Bewusstsein für Rassismus im Gesundheitswesen zu schärfen. Diese sind hier abrufbar: Materialien zur Unterstützung von Rassismus-Betroffenen im Gesundheitswesen.

Der Fokus liegt darauf, echte Veränderungen herbeizuführen und aus den Erfahrungen der Betroffenen antirassistische Strategien zu entwickeln. Diese Schritte sind entscheidend, um den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten und bestehende Hindernisse abzubauen.

Zusammenfassend lässt sich nach 4 Jahren hartnäckiger Arbeit sagen, dass sich etwas tut. Anfangs war es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, der nun viel viel mehr wird, worüber ich unendlich dankbar bin. Für eine diskriminierungs- und rassismusfreien Gesundheitswesen für Patient: innen und Kolleg:innen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte.