Professionelle Fürsorge am Ende des Lebens: Die Palliativmedizin

Was ist, wenn die heilende Medizin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gelangt und keine Aussicht auf Heilung besteht? Kann man nichts mehr tun und muss sterben?

Der Lebenswunsch vieler Menschen besteht darin, ein langes und gesundes Leben zu führen. Dank der modernen Medizin ist dieser Wunsch nicht unrealistisch, was wir an der zunehmenden Alterung der Gesellschaft deutlich erkennen können. Dennoch ist das Lebensende jedes Menschen vorbestimmt und unaufhaltbar. Auch wenn der Tod ein unumgängliches Ereignis aller ist, verdrängt der Mensch sich mit diesem eher unbeliebten Thema auseinanderzusetzen. Insbesondere dann, wenn man gerade mitten im Leben steht und wichtige Lebensentwürfe plant. Dennoch kann dieser Zeitpunkt eher auftreten als erwartet. Letztlich bedeutet jeder Tod der Abschied von einem geliebten Mitmenschen weshalb die Trennung immer schmerzhaft ist.

Eine unheilbare Krankheit oder Zustand ist unabhängig vom Alter, ein ziemlich belastender Punkt des Lebens, womit die Betroffenen und Angehörigen schnell überfordert sein können. Viele hinterfragen die Krankheit mit den Fragen “Warum gerade jetzt?”, “Wie geht es nun weiter?” und können sich nicht erklären, warum die doch so fortgeschrittene Medizin nicht weiterhelfen kann.

Wir können davon ausgehen, dass die Mediziner*innen wirklich alles tun was in ihrer Macht steht, um den Patient*innen zu helfen. Dennoch hat auch die moderne und fortgeschrittene Schulmedizin ihre Grenzen. Es gibt Krebserkrankungen, die im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr gut behandelbar sind und weitere Therapien mehr Schaden als Nutzen bringen. Auch einige neurologische Erkrankungen wie z.B. Amyotrophe Lateralsklerose oder degenerative Muskelerkrankungen gehören zu dieser Gruppe. Ab dem Zeitpunkt, an dem man nicht mehr von einer Heilung der Erkrankung spricht und wenn es in absehbarer Zeit zum Ende des Lebens der Person kommt, sprechen wir in der Medizin von “palliativem Prozedere”. Das heißt nicht, dass diese Person sofort und qualvoll sterben wird und nicht alle Krebskranke sind gleichzusetzen. Je nach Krankheitstyp, Erkrankungsschwere und Behandlungsmöglichkeiten kann man die Lebenszeit manchmal über Monate bis sogar mehrere Jahre hinauszögern. Faktisch kann man die Krankheit vielleicht nicht heilen, aber dennoch den Betroffenen mehr beistehen, als man vermutet.

„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ – Cicely Saunders, Pionierin der Hospizbewegung

In allererster Linie ist es wichtig zu wissen, dass man in einer solchen Situation keineswegs alleine ist. Familie und Freunde stellen in vielen Fällen eine sehr große Stütze dar. Dennoch fällt auf, dass Angehörige, Bekannte und die Betroffenen selbst körperlich, seelisch, zeitlich und auch fachlich an ihre Grenzen stoßen. Deshalb stellt die Palliativmedizin mit ihren diversen Unterstützungsangeboten eine weitere wichtige Stütze in dieser schweren Zeit dar, die wir den Betroffenen als auch Angehörigen sehr ans Herz legen möchten. Oft erleben wir, dass Betroffene und Angehörige Angebote aus verschiedenen Gründen ablehnen. Allerdings ist ist keineswegs falsch und sogar sehr hilfreich sich zeitig professionelle Hilfe zu holen und in Momenten der Überforderung die richtigen Ansprechpartner*innen zu haben.

Im Bereich der Palliativmedizin geht es darum, die Folgen der unheilbaren Erkrankung zu lindern. Hierbei steht die Lebensqualität des Menschen im Mittelpunkt: die Betroffenen sollen ihren verbleibenden Lebensabschnitt möglichst angenehm, schmerzfrei und auch sorgenfrei erleben, um die Zeit mit Familie und Freunden angenehm verbringen zu können.

Wie ist das möglich und was wird genau getan?

Anders als in anderen Bereichen der Schulmedizin betrachtet die Palliativmedizin den Menschen als Ganzheitliches, weshalb Körper, Seele und Psyche gleichzeitig berücksichtigt und behandelt werden. Der Mensch wird als “Individuum” mit all seinen Bedürfnissen gesehen und unterstützt. Unter diesen Gesichtspunkten lässt sich auch besser verstehen, warum die Palliativmedizin so heißt, wie sie heißt, denn der lateinische Begriff “palliare” bedeutet „mit einem Mantel bedecken“.

Behandlung körperlicher Symptome: Und hierbei steht insbesondere der Schmerz im Zentrum. Fortgeschrittene Krebserkrankungen können Nerven oder Knochen befallen, die sehr schmerzhaft sein können, weshalb das Lindern der Schmerzen eine sehr wichtige Rolle spielt. Die Schmerzen lassen sich mit angemessenen Schmerztherapien sehr gut behandeln. Als positiver Nebeneffekt werden damit auch Angstzustände und Luftnot gelindert. Weitere Symptomreduzierung kann man bei Übelkeit, Erbrechen, Verdauungsstörungen, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Hautproblemen vornehmen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind verschieden. Auch palliative Chemo- und Strahlentherapien oder Operationen werden hier durchgeführt, um die Lebensqualität zu verbessern oder zu erhalten. Diese Maßnahmen können auch zur Lebensverlängerung beitragen.

Behandlung psychischer Symptome und seelischer Sorgen: Nicht selten wird die Erkrankung von Angst- und Panikzuständen begleitet. Insbesondere dann, wenn die Beschwerden zunehmen, man sich alleine fühlt oder Angst und Sorge um die hinterbleibende Familie hat. Neben medikamentöser Therapie werden hier unterstützend einfühlsame Gespräche, Entspannungstechniken, religiöse Seelsorge angeboten und auch religiöse Rituale ermöglicht.

Mit dem Fortschreiten der Erkrankung und der Beschwerden sollten die Erkrankten (oder als Angehöriger möglichst mit Absprache) folgende Frage stellen: Möchte ich eine lebensverlängernde Therapie, die mit weiterem Leiden einhergehen würde? Die Mediziner*innen tun wirklich alles, was ihnen in der Macht steht. Denn nicht alles ist schmerzlindernd und sinnvoll, sodass bei unheilbaren Erkrankungen mit schlechter Prognose, noch mehr leiden könnte. Im Krankenhausalltag erleben wir nicht selten wirklich traurige Momente, die wir niemandem wünschen. Häufig handeln insbesondere Angehörige nicht im Sinne der Betroffenen, sondern im eigenen Sinne, weil man sich nicht ein Leben ohne ihre geliebten Menschen vorstellen möchte. Somit wir das Leiden der Betroffenen nicht berücksichtigt. Palliativ denken heißt, ein würdevolles Leben zu haben und parallel den Tod als natürlichen Prozess zu akzeptieren. In diesem Zusammenhang empfehlen wir Betroffenen das Anlegen von einer Patientenverfügung, einer Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung, um für solche Situationen gewappnet zu sein. Wie das aus islamischer Perspektive zu beachten ist, erfährt ihr hier.

Welche Möglichkeiten gibt es für mich als Betroffene und Angehörige?

Zunächst ist zu erwähnen, dass alle Angebote von den Krankenkassen übernommen werden.

In vielen Krankenhäusern gibt es mittlerweile eine eigene palliative Abteilung, die Palliativstation mit spezialisierten Palliativmediziner*innen und Pfleger*nnen. Bereichert wird das Team zusätzlich von PhysiotherapeutInnen, SozialdienstarbeiterInnen, PsychoonkologInnen, SeelsorgerInnen und je nach Standort in vielen Fällen auch von Musik- oder KunsttherapeutInnen. Die Gesamtheit dieser Professionen stellt die Komplexität des menschlichen Lebens dar. All diese Menschen sind da, um den Bedürfnissen der Patient*innen auf die beste Weise gerecht zu werden und – was in dieser Lebensphase besonders wichtig ist – um Halt zu geben. Versorgungsprobleme zu Hause, psychische Ängste oder Fragen nach dem Sinn werden also genauso ernst genommen wie Schmerzen. Zudem werden auch Angehörige eingebunden. Es wird viel Raum für Glauben und Religiosität geboten. Grundsätzlich gilt, dass PatientInnen auf einer Palliativstation so gut versorgt werden, dass sie in der Regel wieder nach Hause entlassen werden können.

Aber palliative Medizin kann man auch im ambulanten Bereich, also von zu Hause aus bekommen. Das ist häufig etwas, was sich viele Schwerstkranke und Sterbende wünschen: in ihrer vertrauten
Umgebung medizinisch und pflegerisch versorgt zu werden. Und wenn doch der Sterbeprozess nahe ist, möchten doch 70-80% der Menschen lieber zu Hause sterben. Es gibt Hausärzte, die auf palliative Versorgung spezialisiert sind und eine gute Betreuung machen. Aber auch gibt es palliative Pflegedienste, die zur Unterstützung von Betroffenen und Angehörigen kommen. Sie sind ein speziell geschultes Team, die eng mit Palliativmediziner*innen zusammenarbeiten und 24 Stunden erreichbar sind. Auch im stationären Umfeld wie Pflegeeinrichtungen oder Hospizen sind sie eingebunden. Man muss sich auch an diesem Punkt überlegen, insbesondere, wenn zu Hause die Situation schlechter wird, was man als Betroffene möchte: weitere Behandlung oder gar Sterben im Krankenhaus oder zu Hause?

Für betroffene Personen, die in ihrer letzten Lebensphase sind, aber nicht im Krankenhaus sterben und auch nicht aus diversen Gründen nach Hause können oder möchten, gibt es noch eine Möglichkeit: die Hospiz. Sie sind wichtige Einrichtungen bei der Begleitung von Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase, die keine ärztliche Betreuung rund um die Uhr benötigen. Es gibt stationäre Hospize, in denen sterbenden Menschen ein würdevolles
und selbst bestimmtes Leben ermöglicht wird. Viele Beschäftigte sind dort ehrenamtlich tätig und alle kümmern sich fürsorglich und empathisch um ihre „Gäste“.

An wen kann ich mich wenden, wenn ich selber oder Angehörige betroffen sind?

Gerne möchten wir noch einmal betonen, dass kein Mensch allein ist und man von einem gut organisierten System und empathischen Menschen aufgefangen wird. Reaktionen wie Angst, Trauer oder Frust können in solchen Situationen auftreten und gehören zum Prozess der Verarbeitung dazu.
Als erste Anlaufstelle und Ansprechpartner können die Hausärzt*innen dienen. Diese sind in der Regel ohnehin gut über den Gesundheitszustand ihrer Patient*innen informiert und können sie daher wirksam begleiten und gemeinsam mit den Betroffenen weitere Schritte besprechen und einleiten.
Je nach Diagnose und Lokalisation der Erkrankung sind auch Fachärzt*innen gefragt.

Auch die Kranken- und Pflegekassen verfügen über ein umfangreiches Beratungsangebot. Hier ist unbedingt zu erwähnen, dass man den Anspruch auf einen Pflegegrad und damit auch auf Pflegegeld und weitere Unterstützungsangebote hat, wie z.B. Kosten für Pflegebett, Wohnungsumbau, Haushaltshilfe etc.

Darüber hinaus gibt es diesbezüglich im Internet hilfreiche Informationen und unterstützende Beratungsstellen:

Krebsberatungsstellen

Palliativ-Portal, wenn man auf der Suche nach Palliativmediziner*innen, ambulanten palliativen Pflegediensten oder Hospizen ist.

https://www.pflege.de/altenpflege/palliativpflege/

https://www.palliativstuetzpunkt-kh.de/

https://www.betanet.de/files/pdf/ratgeber-palliativversorgung.pdf

https://www.dgpalliativmedizin.de/images/leitfaden-fuer-angehoerige_bf.pdf

https://www.dhpv.de/service.html

Nicht zu vergessen ist die palliative Versorgung von Demenzerkrankten: https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt24_palliative_versorgung_dalzg.pdf

Lest gerne passend dazu meine Beiträge zu Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht und der muslimische Patient am Lebensende durch.

Wir wünschen allen Betroffenen viel Kraft und alles Gute! Bei Fragen und Hilfsbedarf ist niemand allein. Nicht nur wir sind für Euch da.

Verfasst von Muhammet Keser und Hatun Karakaş